Wir müssen die Dinge beim Namen nennen

“ÖVP-Chef Karl Mahrer ist ein Rassist.” So betitelt Florian Klenk seinen heutigen Newsletter. fairMATCHING sieht sich auch als Plattform, um diesen Positionen Raum zu geben. Denn die rechte Unterwanderung dieser Gesellschaft ist mittlerweile zum Haareraufen. Wir wollen diesen gegenaufklärerischen und demokratiefeindlichen Tendenzen keinen Raum geben. Und keinen Platz in unseren Köpfen. Herr Klenk, hier ist der Platz für Sie. Copy. Paste.


Guten Morgen!

Gestatten Sie mir ein persönliches Werturteil: Karl Mahrer ist ein Rassist. Ich schreibe das hier nicht einfach so hin. Ich kenne den derzeitigen Chef der ÖVP Wien seit zwanzig Jahren, weil ich früher oft über Polizeifolter berichtet habe. Mahrer zog hier klare Linien und ich hätte ihm, dem ehemaligen Vize-Chef der Wiener Polizei, dieses Etikett nie verliehen.

Aber seit einigen Tagen sehe ich es anders. Warum? Mahrer macht mit einem Video über den Brunnenmarkt gegen Ausländer mobil. Und zwar nicht etwa, weil sie extremistisch oder kriminell sind, also ein unliebsames Verhalten setzen. Sondern nur deshalb, weil sie Ausländer sind und es wagen, hier zu arbeiten und „ungestört ihre Kultur zu leben". Genau so formuliert es Mahrer und stört diese Menschen. Er greift sie nur aufgrund ihrer Herkunft an. Genau das ist Rassismus.

Sie merken schon, ich reagiere scharf. Das ist deshalb so, weil der Brunnenmarkt auch mein Grätzel ist. Ich beobachte sehr genau, was hier passiert und wie die Stadt regiert. Ich kenne die Lokale, die Standler, die Bäcker, Wirtsleute, Bezirkspolitiker. Natürlich gibts hier all die Probleme einer verdichteten Großstadt, vor allem an Schulen. Themen, denen sich die Politik annehmen muss. Aber nicht so wie Mahrer. 

Mahrer mag keine Ausländer am Brunnenmarkt, weil sie genau das tun, was die ÖVP will: sie betreiben freie Marktwirtschaft. Mahrer aber verachtet sie, weil sie anders aussehen, anders essen und anders beten, als er selbst. Mahrer schürt deshalb Neid: mit Vorurteilen und Unwahrheiten. 

Er tut das, um in jenem FPÖ-Milieu zu fischen, das er die „schweigende Mitte“ nennt. Manche Journalisten, etwa ein Kollege vom Kurier, meinen nun, man solle Mahrers „spalterischen Opa-Content“ nicht weiter breiten, denn: „Ist es nicht wurscht?“ 

Nein, es ist nicht wurscht.

So sieht lauf ÖVP-Chef Mahrer ein „Sinnbild gescheiterter Integration“, eine „No-Go-Area“ und eine „Unsicherheitszone“ aus – der Brunnenmarkt im 16. Bezirk (© FALTER/Christopher Mavrić)

Mahrers Mär

… und die Fakten.

Schauen wir uns Mahrers Propaganda genauer an. Sein Video nennt sich „Brunnenmarkt einst und heute“ und Mahrer behauptet darin, er habe mit Anrainern und Standlern gesprochen. Und die hätten ihm Folgendes erzählt: „Syrer, Afghanen, Araber“ hätten „die Macht über den Brunnenmarkt“ übernommen. Da gebe es zum Beispiel das Gerücht über „einen Syrer“, der „hat fünf Stände am Brunnenmarkt“ und er wolle „einen sechsten und einen siebten“ und er habe gesagt: „Ich zahle jeden Preis, ich habe Geld genug“.

Der Text enthält alle rechten Codes, wie sie auch die Identitäre Bewegung verbreitet. Da sind die "anderen" (die Afghanen und Araber), die hier „die Macht übernehmen“, "die Syrer", die „jeden Preis“ zahlen, weil sie „Geld genug“ haben und das Wiener Wahrzeichen „aufkaufen“. Mahrers Klientel versteht es: die arabischen Clans bedrängen nicht nur unser Wien, sondern auch unsere Bauern, die hier verdrängt werden.

Nirgendwo findet sich für Mahrers Behauptungen ein Beleg. Im Gegenteil: am Samstag ist der Yppenplatz voll mit Bauern. Mahrer war offenbar noch nie hier.

Aber der Wiener ÖVP-Chef legte auf Twitter noch nach. Am Brunnenmarkt würden sich Zuwanderer „zunehmend von der Mehrheitsgesellschaft abschotten“. Der Brunnenmarkt, twittert er, sei ein „Sinnbild gescheiterter Integration“, eine „No-Go-Area“ und eine „Unsicherheitszone“. Er hätte nur in eines der vielen Cafés gehen müssen, um sich eines Besseren zu belehren.

Und dann macht er noch etwas wirklich Hinterhältiges: Er stellte eine diskursive Verknüpfung zwischen den Marktstandlern und allen Sexualstraftaten her, die in Ottakring von 2020 auf 2021 angeblich „um 50 Prozent“ gestiegen seien.

Beginnen wir mit der Polizeistatistik: In der Corona-Zeit kletterte die Zahl der Anzeigen wegen Sexualstraftaten in ganz (!) Ottakring von 68 auf 105. Pro Jahr. Davon betrafen allerdings 24 Anzeigen wegen Kinderpornografie am Computer – also Delikte, die nicht im öffentlichen Raum begangen wurden, schon gar nicht am Brunnenmarkt. Wegen des Vergehens „sexueller Belästigung“ wurden 22 Anzeigen erstattet – bei 102.000 Einwohnern eine erstaunlich geringe Zahl, zieht man in Betracht, dass der äußere Gürtel uns seine Lokale zu Ottakring zählen.

No-Go-Area? Der Brunnenmarkt zählt pro Woche laut Marktamt 80.000 Besucher. Das sind rund vier Millionen Menschen pro Jahr. Er ist damit der am meisten besuchte Markt, am Samstag findet man am Yppenplatz in den bosnischen, türkischen oder Wiener Lokalen keinen freien Stuhl.

Niedergang der Marktkultur? Gäbe es keine „Syrer und Afghanen“, wäre das Grätzel tot, schreibt Clemens Neuhold vom profil, selbst ein Brunnenmarkt-Anrainer. Und sogar das ist gewagt, denn die 171 Marktstände werden von Kleinunternehmern aus 46 Nationen bewirtschaftet – hier ist also nicht „alles gleich“, wie Mahrer insinuiert. Und am Wochenende kommen die von Mahrer vermissten „heimischen Landwirte und Nahversorger“ und bieten Kraut, Speck und Rüben feil.

Die Stadt Wien hat hier auch nie „weggesehen“. Im Gegenteil, sie hat fett investiert. 2010 wurde der Markt um vier Millionen Euro generalsaniert. 600.000 Euro hat die Stadt die Modernisierung und Begründung des Yppenplatzes investiert. 2019 erfolgte die Sanierung der angrenzenden Neulerchenfelderstrasse. Sie wurde um fünf Millionen Euro begrünt, mit Sitzmöbeln versehen und fußgängerfreundlich gestaltet. Die Ottakringerstrasse wurde 2013 saniert: 6,2, Mio Euro flossen in breitere Gehsteige und einen Radweg. Bei der Josefstädterstraße werden Obdachlose nicht vertrieben, sondern im "Josi" betreut.

Am Markt selbst wurde die Nordzeile 2019 zur Fußgängerzone. Die Thaliastrasse wird gerade zu einem „Klimaboulevard“, das kostet 18 Millionen. 200 Bäume, Sitzmöbel, Präriebeete gibt es hier jetzt – und natürlich das Kinderfreibad.

Beim Brunnenmarkt finden Kulturfestivals statt, das Volxkino, die Kunsttankstelle und die Brunnenpassage öffnen hier die Türen. Die Passage gehört der Caritas. Mahrer war hier vor ein paar Jahren und warnte vor Zündlern, nun ist er selbst einer.

Caritas-Direktor Klaus Schwertner richtet Mahrer daher Folgendes aus: „Wir erleben den Brunnenmarkt als Erfolgsbeispiel, wie Integration in einer Millionenstadt gelingen kann. Es ist höchst befremdlich, dass nun eine Partei, die gerne Integration vor Zuzug fordert, es Marktstandlern gleichzeitig zum Vorwurf macht, wenn sie Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen. Ich glaube, dass es weniger der Brunnenmarkt ist, der sich in den vergangenen Jahren geändert hat, als vielmehr Karl Mahrer selbst.“

Unsicherheitszone? Ja, für die FPÖ und die ÖVP. Die Blauen haben im Sprengel Yppenplatz bei der Nationalratswahl nur mehr 4,2 Prozent bekommen, die ÖVP 13 Prozent. Wo sich Menschen unterschiedlicher Kulturen begegnen, haben die Angstmacher keinen Auftrag. Da wird grün gewählt - die Ökos haben im Sprengel Yppenplatz mit 45 Prozent ihre Hochburg.

 

Florian Klenk