Standup Tragedy

Ein holpriger Nachruf auf Jad Turjman

Jad, bei der im Text erwähnten Lesung in der matchBOX im März 2022

Jad, ich kann und will mich nicht von dir verabschieden. Heute. Wenige Tage nachdem dein Leben so abrupt endete. Mit einem kleinen, blöden Schritt. Mit einer momenthaften Unbedachtheit, die alles, was dir bislang in bewundernswerter Art und Weise gelungen ist, in einer grausamen Gebärde der Beiläufigkeit auszuradieren scheint.

Gerade noch warst du bei uns in der matchBOX und hast aus deinem ersten Roman gelesen. Wir haben viel gesprochen an diesem Abend. Über deine existentielle Suche nach einer Form, in einem Leben, das dir seit Jahren und nicht erst seit deiner abenteuerlichen Flucht die Inhalte vor die Füße schleudert. Da gibt es so viel, was ich dich noch fragen wollte. Was war es genau, das der Geruch des Jasmins in deiner Seele zum Klingen brachte? Und was genau passiert mit all den Dellen in der Seele, die dich zu einem „erfahrenen Flüchtling“ machen? Du bist dir unter deiner Feder zur Figur geworden – ein Tarek, der dir beim Tragen hilft. Und doch bist du ganz Jad geblieben – das konnte man in jedem Dialog mit dir erleben. Auch wenn du, wie Tarek, gelernt hast, “die Vorurteile der ganzen Gesellschaft wie eine wärmende dicke Jacke an einem warmen und sonnigen Sommertag mit einem Achselzucken zu tragen.” Kein leichtes Bild, zugegeben, – aber eines, das auf den zweiten Blick seine Magie entfaltet, wenn die Vorurteile immer noch für Wallungen sorgen, auch wenn sie schon lange als überflüssig bzw. vollkommen daneben abgespeichert sind.

Das Foto, das mir von dir in die Hände fällt, ist verschwommen. Wackelig. Unscharf. Dein Blick geht woanders hin als deine Hände, die irgendwas in der Luft zu halten und festzuschrauben scheinen. Deine Hände. Dein Suchen. Deine Unrast. Du hast in dem Moment den Halt verloren, als dein Jasmin Wurzeln schlug. Deine jahrelange Flucht ein glückliches Ende fand. Dein letzter Post aus Venedig legt nahe, dass du wirklich angekommen warst. Ich sehe deine Hand die „Jeanskurzhosentasche streicheln“, in der dein österreichischer Pass steckt. Aber dann beginnt dieses Bild zu zittern. Nein, nicht dieses Bild. Es ist mein Zittern, es ist meine Traurigkeit, die sich über diesen von dir festgehaltenen Moment legt.

Orson Welles hat einmal gesagt, dass es nur darauf ankommt, den richtigen Zeitpunkt für das Ende der Geschichte zu wählen, wenn man ein Happy End haben will. Anfänge. Enden. Geben sich die Hand. Drehen sich im Kreis. Dein Tod am Göll ist etwas, das sich in keiner Geschichte festhalten lässt. Dieses abrupte, sinnlos scheinende Ende, nachdem dir so viel gelungen ist und du vor und während deiner Flucht aus Syrien dem Ende so oft entronnen bist. Schlangengleich beißt sich das Leben in den eigenen Schwanz. Ouroboros – ein Angriff auf unsere linear getrimmte Sehnsucht. Je mehr Sinn ein Mensch seinem Leben zu geben imstande ist, umso widersinniger erscheint der Tod, der mit dieser Unternehmung so gar nichts zu tun zu haben scheint. Du warst keine Extremkletterer, der in den Bergen das Risiko suchte oder bewusst einging, um seinem Leben eine zusätzliche Intensität zu geben.

Du warst ein Spaziergänger in den Bergen, ein Flachgauer, der plötzlich den Weg nicht mehr fand. Die Not spürte. Den Ernst der Lage witterte, als es bereits zu spät war. Ich hätte dir so gerne die Ruhe gegeben, die so eine Situation verlangt, wenn man vom Weg abkommt. Aber ich war nicht da. War selbst in den Bergen unterwegs, hunderte Kilometer entfernt, in Frankreich. Und dann kam der falsche Schritt, das Taumeln, die Suche nach Gleichgewicht und Halt als es kein Halten mehr gab.

Seit ein paar Jahren verfolgte ich deine Schritte und kommentierte dich. Kritisch. Freundschaftlich. Und war dann nicht da, um dir im entscheidenden Moment Halt zu geben. Dein Taumeln aufzuhalten. Irgendwo am Göll, als es dunkel wurde und dir der Weg abhanden kam.

Dein Tod ist frei von jedem Sinn. Und vielleicht deshalb auf den ersten Blick so unwürdig für einen, der sich der Sinngebung verschrieben hat. Deshalb lasse ich deine Geschichte in Venedig glücklich enden. Und überlasse den unverständlichen Rest dem Leben, das sich der Geschichte entzieht.

Statt mich von dir zu verabschieden, suche ich nach einem Platz in meinem Herzen, an dem du bleiben und ausruhen und jetzt mich kommentieren kannst. Du fehlst mir. Du fehlst uns. Habibi. Deine streitbar stacheligen Kolumnen – wie sehr werden wir sie vermissen. Und deinen kritischen Blick nach innen, der sich auf die Zwischentöne einlässt und in den Pausen zwischen den Worten das Verletzliche sichtbar macht.

Keine Verabschiedung. Keine “Verabschiebung” – dieser Freudsche Verschreiber könnte von dir sein. Wir werden uns wiedersehen, das weiß ich heute. Und so deute ich deine Abwesenheit als eine andere, eine neue Art, uns zu erscheinen. Könnt ihr sie riechen?