Mark Daniel Prohaska trifft Katharina J. Ferner

Was für ein Grätzlfest! Und was für eine Stimmung. Und das Programm war fast das eines Festivals.

DJ PETE CARNAGE trieb uns durch den Abend und auch der Auftritt von Singer-Songwriter DAVID ERA war denkwürdig gut. Was in der Küche passierte – mit ABOZAR, ANDREA und MICHL –, war mit Sternen nicht zu messen. Und – last but not least – auch die FINISSAGE der Ausstellung 21 MOMENTS bestach durch ihren ganz besonderen Glanz.

Für alle, die sie verpasst haben – die Austellung von Mark Daniel Prohaska UND den “Abgesang” von Katharina J. Ferner, die zu den Foto-Ensembles fünf herrliche Miniaturen knüpfte – fügen wir hier nochmals die Texte und Bilder zusammen. Zum Grätzlfest gibts an anderer Stelle mehr ;-)

Die Autos ziehen in Streifen an mir vorbei, lassen Spuren wie Himmelslinien, auch am Asphalt bleibt ein Muster. Mische sie im Kopf neu zusammen wie Spielkarten, wer zieht zuerst, welche Farbe wird zunächst abgelegt, um im rechten Moment wieder aufgenommen zu werden, rot, weiß oder eher, gelb blau. Und ich denke: Hinter der Absperrung wartet das wahre freie Leben. Bleibe dennoch in gebührendem Abstand, um den Schutzraum nicht ungefragt zu betreten. Sich an den belebtesten Orten ausklinken können - wie weggebeamt. Ein Portal zur Anderswelt, in das wir hineinspähen. Aus dem manchmal ein Lachen hervorbricht, ein Seufzen oder ein Gegenstand über die Grenzen hinausrollt. Vage Hinterlassenschaften. Vielleicht bleibt auch von mir eines dieser Zeichen im Stadtbild erhalten Und später wird jemand sagen: Hier stand einmal. Wenn wir am Betonkokon vorbeigehen: Hier schlief. Und: Hier gibt es ein Portal zur Anderswelt.

Hast du den Kopf schon wieder in den? Nein, im Käse, sage ich. In Wahrheit schaue ich ins Mobiltelefon, das Partykrönchen rutscht mir langsam von der Stirn, hängt lose in den Haaren, es zieht und ziept, aber ich bin zu erschöpft mich wieder aufzurichten, das Kinn nähert sich stetig meiner Brust und die Buchstaben am Bildschirm verschwimmen mir allmählich vor den Augen. Der Bus fährt und fährt nicht. Ich beneide ein vorbeifahrendes Kind, um seinen Roller. Erinnerst du dich an die Roller unserer Kindheit, sie waren alle noch nicht elektrisch und man musste ordentlich antauchen, um überhaupt von der Stelle zu kommen. Dafür hatten sie diese richtig breiten Reifen, die einen ohne große Mühe über Gehsteigkanten und Pfützen springen ließen.

Erhitzte Farben, flirren vor der Sonne. Manchmal habe ich das Gefühl es knistert regelrecht in den Mauerritzen. Ich hätte Lust alles abzulegen, der Schweiß sammelt sich unter dem Jackett, ich lasse mir aber nichts anmerken. Dass du mir, bloß nicht ohne Hut aus dem Haus. gehst, hat sie immer gesagt. Bis heute halte ich mich daran, unabhängig von Wind und Wetter, besitze ein Gummiband für besonders starke Böen, leicht geflochtene Kopfbedeckungen für den Sommer und pelzbesetzte Exemplare für Schneefall. Einen Hut für alle Fälle, hat sie immer gesagt. So kommst du mir zweifelsohne stilsicher durch den Tag, du weißt nie auf wen du triffst. Der heutige Hut war es, wegen dem er sie überhaupt erst kennengelernt hatte. Er war in einer Kinovorstellung gewesen und sie hatte hinter ihm gesessen und sich während des Filmes abwechselnd links und rechts an ihm vorbeigebeugt, um auf die Leinwand sehen zu können. Nehmen Sie ihn nicht ab, hatte sie ihm ins Ohr geflüstert, als er sich an den Kopf griff. Er steht ihnen so gut. Kein einziges Mal hatte sie sich beschwert, nur ihr Kinn streifte manchmal seine Schulter, bei besonders spannenden Stellen.

Die letzte Ampelschaltung, bevor die nächtlichen Verkehrsteilnehmer ihren eigenen Regeln folgen, findet kurz vor Mitternacht statt. Mit einem kurzen Surren kündigt sich der Moment an. Wenn das Licht dann verlöscht, lösen sich Insektenlarven aus ihren Verpuppungen und fallen auf die nun kaum mehr befahrene Straße. Zaghaftes Fühlerstrecken. Auch die Tankstelle schließt bald, die Autos am Parkplatz werden in dieser Nacht eingeschneit. Im Schatten der Laterne liest jemand, mit klammen Fingern blättert er die Seiten um, zieht den Mantel fester. Im Buch hingegen herrschen sommerliche Temperaturen, die Schatten werden zwar schon länger, greifen aber noch nicht über. Es ist der passende Tag für einen Ausflug, eine Wanderung mit Picknickpause, ein Verschwinden zwischen den Seiten.

Das Paket ist zu groß für den Inhalt, der Postbote kann es sich nur schwer unter den Arm klemmen, dreht und wendet es, trägt es auf der Schulter, dabei hat es kaum Gewicht. Er wundert sich. Styropor oder Federn, vermutet er. Tatsächlich trägt er einen Wunsch hinaus in den Hof. Hoffentlich geht er nicht verloren.  Bitte, ich brauche meinen Mantel, hat sie gesagt. Schick ihn mir ins Krankenhaus. Ich will noch einmal an den Säumen riechen und mich erinnern. Der feine Stoff leuchtet im ersten Morgenlicht, das weich durch das Fenster auf ihr Bett fällt und tagsüber durch das Zimmer wandert, die Staubspuren aufdeckt, wie an eingezäunten Tatorten.

matchBOX Momentaufnahme

Wie sich die matchBOX entwickelt, sehen wir jeden Tag. Trotzdem gib es immer wieder Momente, in denen diese Entwicklung besonders gut sichtbar ist.

Ein solcher Moment war die Vernissage von Mark Daniel Prohaksa am 21.4.2022, als nach monatelangem Lockdown endlich wieder mal spürbar war, wie die Dinge, die sich zwischen fairMATCHING, der WERKSTOD und der matchBOX entwickeln, langsam ineinandergreifen. Danke Julia Schwaiger fürs Dabeisein und den schönen Bericht!

Gut gefüllte matchBOX bei Jad Turjman

Vom “Geruch der Seele” – so sein neues Buch – war der Raum gefüllt. Und das begann lange bevor JAD TURJMAN aus seinem Buch zu lesen begann.

Denn davor mussten wir über die Welt sprechen und den Krieg, der nun bis an die Grenzen von Europa reicht. “Wie geht es dir damit, Jad, wenn du siehst, dass das, was PUTIN jetzt in der UKRAINE macht, plötzlich relevant ist in den Medien und in unseren Köpfen? Aber das, was seit mehr als 5 Jahren in Syrien passiert, schon lange keinen News-Wert mehr hat.”

Zugegeben, es hätte entspanntere Einstiege gegeben. Aber wenn das Gegebene in Gestalt der Kriegsrealität, so massiv vor der Tür steht, muss man es reinlassen, wenn der Raum nicht implodieren soll. Auch wenn man SYRIEN und die UKRAINE nicht vergleichen kann, die Situation der Geflüchteten muss man vergleichen. Denn man kann nicht in allen öffentlichen Verkehrsmitteln im Bundesland Salzburg “freie Fahrt für Flüchtende aus der Ukraine!” ausrufen, ohne die Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan mitzudenken, die zum Teil seit Jahren in einem Asylheim auf ihre Bescheide warten und sich die Fahrt zum nächsten Sprachkurs nicht leisten können.

Aber das ist eine Abzweigung, die in eine andere Geschichte führt. An diesem Abend interessierte uns vor allem der Weg, den JAD TURJMAN vom Tagebuch einer Flucht (WENN DER JASMIN AUSWANDERT) zur romanhaften Fiktion im GERUCH DER SEELE genommen hat. Und wieviel Tarek, der Hauptfigur, in Jad, dem Autor, steckt und umgekehrt.

Wir kennen Jad als streitbaren Menschen, der sich in den sozialen Medien kein Blatt vor den Mund nimmt. An diesem Abend erlebten wir den anderen Jad. Den, der mit kritischem Blick nach innen schaut und viel von sich Preis gibt. Den Verletzlichen, der sich auf Zwischentöne einlässt und auf die Pausen zwischen den Worten. Da schimmerte der erfahrene Flüchtling durch, wie er ihn in seinem Roman an TAREK festmacht – der “die Vorurteile der ganzen Gesellschaft wie eine wärmende dicke Jacke an einem warmen und sonnigen Sommertag mit einem Achselzucken zu tragen weiß.” Kein leichtes Bild, zugegeben, – aber eines, das auf den zweiten Blick seine Magie entfaltet, wenn die Vorurteile immer noch für Wallungen sorgen, auch wenn sie als überflüssig bzw. vollkommen daneben abgespeichert sind.

Die Gäste waren anwesend wie selten zuvor. Und die matchBOX gut gefüllt - beinahe wie “am Abend des jüngsten Gerichts.” Wie es dort zugeht, erzählt ihnen Jad, wenn er Zeit hat. Und Lust.

Sakala.


Film Matinée: JEDERMANN AUF REISEN

5. Februar 2022. Was für ein Tag!

Es ist Zeit, Atem zu holen. Es ist Zeit, loszulassen. Es ist Zeit, sich von Neuem auf den Weg zu machen. Es ist an der Zeit, Danke zu sagen.

Danke an OMAR KHIR ALANAM, dass er sich mit uns auf diese unsichere Reise machte. Danke an PHILIPP HOCHMAIR der aufgesprungen ist, ohne uns zu kennen und alles gegeben hat. Danke an DANIEL SZELÈNYI, der im Film feinfühlig die Rutsche legte zur Welt des Max Reinhardt. Danke an JOHANNES SILBERSCHNEIDER, der Max Reinhardt mit seiner Gänsehautstimme lebendig werden ließ. Danke an MANUELA STRIHAVKA, die ORF III Programmchefin, die nicht nur Helene Thimig sprach, sondern auch das Taxi lenkte und das Kuckucksei mitbrütete. Danke an die Location Manager THOMAS BIEBL vom Schloss Leopoldskron und ANDREAS FUDERER vom Wiener Stadtsaal. Danke an die Musiker MANFRED LEUCHTER und KINAN AZMEH und – last but not least – den genialen KURT RAZELLI.

Danke an alle, die am Entstehen des Films mitgewirkt haben – allen voran WALTER FANNINGER für seine großartige Kameraarbeit und sein Genie am Schnittpult. Danke an CHRISTIAN HÖLL, Gigi, für seine feine Tonmischung. Danke SIEGRID CAIN für die einfühlsame photographische Begleitung. Danke an ANDREAS POHL und ZORICA VILOTIC vom ORF für Archiv-Recherche und Sprachaufnahmen. Danke an ROMY SIGL fürs Rutschnlegen ins Schloss Leopoldskron. Danke an alle Sponsoren, Partner, Spender*innen, Mitglieder*innen und Wegbegleiter*innen.

Danke an ein wunderbares Premierenpublikum, das so enthusiastisch war, dass man es knistern hörte. Danke an unsere Gastgeberin RENATE WURM und ihr engagiertes Team vom Filmkulturzentrum DAS KINO.

Slideshow einfach mit Maus oder Enter bedienen.

Und, zu guter Letzt, Danke an das fairMATCHING Team – ASTRID, KATRIN, SILKE und ABUZAR –, das die Neugier hochhält und jeden Tag einen Boden bestellt, auf dem die Möglichkeiten wachsen.

Danke an alle, die die Türen hinein in diesen Möglichkeitsraum offen halten. Damit wir über das Reden ins Tun kommen. Und nicht aufhören, über unser Tun zu reden und den Diskurs mitzugestalten.

Ein Beleg dafür ist JEDERMANN AUF REISEN. DIE WELTVERMESSUNG EINES HEIMATLOSEN. Der nächste kommt bestimmt …

Überflieger landet im Grünen

„Hallo Katrin, ich bin jetzt Küchenchef im green garden und suche nach Mitarbeitern - kannst du mir dabei helfen?“

Diese Nachricht hat bei mir ein riesen Glücksgefühl und eine so wohltuende Bestätigung ausgelöst, wie ich es selten erlebe. Wieso? Weil der Verfasser der Nachricht ein ehehmaliger Bewerber ist, der vor nicht allzulanger Zeit selbst als Küchenhilfe bei The Green Garden zu arbeiten begonnen hat!  

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Ali hat sich von Anfang an als „Überflieger“ präsentiert. Er hat herausragend gut Deutsch gesprochen, war motiviert, zielstrebig und offen für alle Optionen. So hat er vor gut 18 Monaten im The Green Garden als Küchenhilfe zu arbeiten begonnen. Die Stelle sollte eigentlich nur ein Übergang sein, bis er eine Lehrstelle im Baubereich findet. Und weil das bei Überfliegern wie Ali meist nicht lange dauert, war das nach ca. einem Monat schon der Fall. Seiner Chefin Julia ist der Abschied auch nach nur kurzer Zeit sehr schwer gefallen, weil er wie sie sagte: „der absolute Wahnsinn ist“.

Nach zwei Monaten Lehre konnte Ali diese unerwartet aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiter machen. Und kontaktierte daraufhin Julia – die ihn mit offenen Armen wieder aufgenommen hat. „Ali ist der Einzige, den ich ein zweites Mal einstelle.“ lacht sie. „Weil er so eigenständig und wissbegierig ist. Er kann alles, sobald er es einmal gesehen hat“ so Julia, die Besitzerin von The Green Garden.

Und eben deswegen ist Ali nun gut ein Jahr später, der Hauptverantwortliche für die Küche – was für eine geniale Erfolgsstory!

Nachdem wir diese sehr gerne wiederholen wollen, weisen wir nochmal auf den Anfang der Geschichte hin: The Green Garden sucht nach MitarbeiterInnen. Ein extrem offenes, multikulturelles und innovatives Unternehmen, wo Chancengleichheit und Augenhöhe gelebt wird.

Wer diese Chance ergreifen will kann sich bei Julia oder fairMATCHING melden.

Heimat neu interpretiert

Langsam nimmt unsere matchBOX an Fahrt auf. Wir sehen es an den Vermischungen, die plötzlich ohne Vorwarnung passieren. Ein Tennegauer Konditor entdeckt unsere Küche, die es noch gar nicht gibt, und will uns nicht nur Küchen-Hardware überlassen, sondern auch mit seinem Know-how unter die Arme greifen. Eine iranische Architektin entdeckt für sich die WERKSTOD als Raum für ihre Ton-Arbeiten.

Und Auch Besuche, wie der des Künstlers Günther Konrad, der uns eine wunderbare Leihstellung für unsere MATCHING-Räume überbrachte, zeigen, dass die matchBOX nach dem langwierigen und frustrierenden Lockdown der letzten Monate langsam zu einer Drehscheibe wird, auf der sich Dinge neu formatieren.

Konrads Werkserie von Collagen und Übermalungen trägt den Titel „Covert and discovered history“. Sie leben aus den Gegensätzen, die sich zwischen Bildern der Hochkultur und den neuen ungezügelten Bildwelten der Street-Styles ergeben. Diese eigens angefertigten Bilder werden digitalisiert und am Computer neu arrangiert. Auf der einen Seite begibt Konrad sich in die Vergangenheit, sucht nach kunstgeschichtlichen Artefakten der Hochkultur aus vergangenen Epochen und auf der anderen Seite arbeitet er an neuen, wilden, ungezügelten, Bildwelten analog und digital. Er verflüssigt festgeschriebene Codes und schafft damit eine neue visuelle Grammatik. Ziel ist es, Gegensätzliches in einen neuen Zusammenklang zu bringen, ohne zu harmonisieren.

In unserem Fall ist es der norwegische Maler Hans Andreas Dahl, dessen romantische Darstellung eines Mädchens in einer Fjordlandschaft Günter Konrad als Basis dient, um sie mit seinen eigenen Zeichnungen, Spraypaintings und Übermalungen zu assemblieren.

Hans Andreas Dahl: Young girl in a fjordlandscape

Hans Andreas Dahl: Young girl in a fjordlandscape

Das Ergebnis dieser künstlerischen Aneignung und Wiederentdeckung ist eine faszinierende Collage aus Heimat und Aufbruch, Geborgenheit und Verwirrung. “Das ist exakt die Spannung, in der wir als fairMATCHING hier im pittoresken Land Salzburg tätig sind”, dachte ich mir, als ich das Bild zum ersten Mal sah und mich spontan verliebte."

Günter Konrad: Covered and discovered history, 181, Refugees welcome

Günter Konrad: Covered and discovered history, 181, Refugees welcome

Diese De-Collage aus dem Jahr 2017 hat die Nummer 181 aus der erwähnten Serie „Covert and discovered history“ und trägt den ebenso geschichtsträchtigen wie umstrittenen Titel “Refugees welcome”.

Ich nenne sie für mich “Heidi goes Diversity” und freue mich sehr, dass es uns nun jeden Tag aufs Neue inspiriert. Wir sind schon gespannt, für welche Impulse diese künstlerische Intervention sorgen wird. Freue mich schon auf das Künstlergespräch in der matchBOX irgendwann im Herbst.

JEDERMANN AUF REISEN

Die Weltvermessung eines Heimatlosen oder: Zwischen Liebe, Tod und was dazwischen liegt …

Was für eine Reise! Das hätte sich niemand von uns gedacht - als wir im Herbst 2020 überlegten, im Schloss Leopoldskron eine “Lesung für die Katz” zu machen, weil #corona-bedingt keine Zuschauer erlaubt waren.

Damals wussten wir nur, dass wir etwas Filmisches mit OMAR KHIR ALANAM machen wollten, dem syrischen Autor und Freund, dessen Entwicklung wir nun seit 3 Jahren aufmerksam verfolgen. Und wir wussten bald (nach einer ersten Begehung mit den überaus kooperativen “Schlossherren” Thomas Biebl (Salzburg Global Seminars) und Daniel Szelényi (Hotel Schloss Leopoldskron), dass der Geist von MAX REINHARDT in der Bibliothek des Schlosses Leopoldskron spürbar war wie an kaum einem anderen Ort. Damit kam der neue Arbeitstitel “ZWISCHEN DEN STÜHLEN” und die Idee, die Geschichte einer unmöglichen Begegnung zu erzählen – zwischen OMAR un MAX, über Orte, Zeiten und Kulturen hinweg.

Keine historische Annäherung also an MAX REINHARDT, sondern eine Standortbestimmung von OMAR, die sich an der Person des Theatermachers entzündet. Dieser Umweg über den Anderen markiert eine Spurensuche, die den Autor immer wieder auf das zurückwirft, was seine Identität ausmacht. Damit wird Max Reinhardt, der Abwesende und überall fremd Gebliebene, Teil eines Vexierbildes, in dem immer neue Perspektiven freigelegt werden.

Alle Fotos von Siegrid Cain, die das Making-Of dieses Films wundervoll begleitete …

Das war die Idee, wie gesagt. Eine Idee, die immer auch mit der Vision von fairMATCHING flirtet – weil wir ja Plattform sein wollen, für Menschen und Projekte, die mit unserer Unterstützung neue Möglichkeitsräume öffnen. Und dann tauchten wir hinein in das Filmprojekt – der Walter Fanninger hinter den Kamera und ich – und machten uns auf die Suche nach dem Weg und den Rhythmus, den diese Geschichte verlangt. Ein Drehbuch enstand, Inszenierungspartikel, die wir immer wieder ein- und verwarfen, weil wir uns ja – mit einigen dokumentarischen Wassern gewaschen – vor allem überraschen lassen wollten von all dem Unvorhersehbaren, das die Realität des Sets mit sich brachte.

Wir geben mit unserer Inszenierung die Leitplanken vor und werden dabei ständig von der Realität überholt. So ist das Leben.

Und dann trat PHILIPP HOCHMAIR auf den Plan, der uns mit seiner One-Man-Performance „Jedermann-reloaded“ in den Bann zog. Und mit ihm ging eine neue Tür auf, in einen Raum, in dem diese essayistisch getragene Spurensuche in der Begegnung mit dem Schauspieler sich zuspitzt, der im Dialog mit OMAR darüber nachdenkt, wie er den Theaterboden und damit sich selbst ununterbrochen neu verlegt. Plötzlich ist alles Zwiesprache. Fleisch und Blut und ultimative Umkehrung. War es vorher der fremde Blick des syrischen Autors auf uns Vertrautes, ist es am Ende der Schauspieler, der den syrischen Autor auf der Bühne zum Kulturduell bittet. Die Stationen der Reise – Damaskus, Salzburg, Wien – bilden den reflexiven Rahmen für diesen Film-Essay. 

Unvorhersehbar in diesem Projekt war auch das Quotenthema, das plötzlich aufpoppte. Einen Film mit vier Männern machen – Max, Omar, Philipp und Daniel – das geht überhaupt nicht, im 21. Jahrhundert. Aber was, fragten wir zurück, wenn die Protagonisten der Geschichte zufällig vier Männer sind? Das Gute an dieser Auseinandersetzung war, dass dadurch die Stimme und Perspektive der HELENE THIMIG Einzug hielt in diesen Film und uns eine zusätzliche Lektüreebene schenkte. Wieder geht eine neue Tür auf – in einen Raum, in dem plötzlich nicht nur MAX REINHARDT sitzt, sondern auch ein Gedicht von OMAR KHIR ALANAM. Helene schlüpft in immer neue Rollen. Nur die eine, die sie immer spielen wollte, “erlaubte” ihr ihr Lebensgefährte nicht. Dass die “Iphigenie auf Tauris” eine Exilfigur ist, ist vor diesem Hintergrund alles andere als ein Zufall.

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Das Terrain wird immer komplexer, unsicherer. Wer spricht gerade mit wem und durch wen? Je mehr wir uns vorwagen, umso klarer wird uns, dass Geschichten und Realitäten keine Gegensätze sind; und dass das Dokumentieren der Realität und der Gestaltungswille eng miteinander vewoben sind. Während wir programmatisch unserer eigenen Inszenierung folgen, werden wir ständig von der Realität überholt. Ich spreche von einer Form des Schaffens, die gleichzeitig experimentell, dialogisch und reflexiv ist. Wir schreiben nicht vor, was gesagt oder getan werden soll. Stattdessen setzen wir Leitplanken, in denen sich die Protagonisten szenisch bewegen. Überraschung und ständige konzeptionelle Neuanpassung sind ein wesentlicher Teil des Spiels. 

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„Jedermann auf Reisen“ ist eine Co-Produktion mit dem ORF. Der Film wird im Herbst 2021 als hintergründiger Kommentar zum Jubiläum „100 Jahre Salzburger Festspiele“ ausgestrahlt.

Danke an alle, die uns unterstützt und sich mit uns auf den Weg gemacht haben!

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Die Bücher von Omar Khir Alanam:

  • Danke! Wie österreich meine Heimat wurde. edition a, 2018

  • Auf der Reise im Dazwischen. Edition Thanhäuser, 2019

  • Sisi, Sex und Semmelknödel. Ein Araber ergründet die österreichische Seele. edition a, 2020

 



























Wir sind am Durchstarten!

Dezember 2019 – dem Kalender nach noch nicht lange her … gefühlt liegt dieses Datum in einer anderen Zeit. Eine Zeit, in der wir auf ein erfolgreiches Jahr für fairMATCHING zurückblicken durften. Eine Zeit, in der wir beflügelt waren von einem spannenden EU-Projekt (FIER), dessen Teil wir sein durften. Und beflügelt von einem weiteren wundervollen fairMATCHING Charity Dinner, das im Schauspielhaus stattfand.

Wir wussten – jetzt einmal mehr – wir wollen, können, müssen neue Ideen und Projekte entwickeln um weiter über den Tellerrand zu blicken.

Und luden deshalb am 22. Dezember noch kurzerhand eine sehr inspirierende Runde an Menschen ein, von der jeder für sich Erfahrung mit dem Thema „Active Citizenship“ hatte – ein Thema, in das wir schon länger tiefer eintauchen wollten.

Dabei war auch das Support Group Network aus Schweden mit Ziyad Tarek Manal Jarmoukly, die mit uns in dieser Runde einen wunderbaren Workshop machten, den wir mit klaren Visionen und Zielen beendeten. Unser Projekt „matchBOX“ war geboren.  

Es wurden Konzepte geschrieben, Räumlichkeiten gesucht, Investitionen geplant und mit Förderpartnern kommuniziert. Und dann…. kam mit Corona die Pandemie!

Dadurch verfielen wir – wie der Rest der Welt – erst einmal in eine gewisse Starre. Eine Starre, in der es zunächst nur mehr um die essentiellsten Bereiche unserer Arbeit und die Bedarfe unserer Bewerber*innen ging.

Als sich die Lage dann etwas entspannte und man sich wieder „traute“, an neue Projekte zu denken, kam auch die matchBOX wieder in den Vordergrund. Wir stellten uns die Frage, ob das immer noch etwas ist, was eine Gesellschaft, geprägt von Corona, braucht? Und unsere Antwort war klar: JA, MEHR DENN JE!

Die immer wiederkehrenden Lockdowns und Maßnahmen führten dazu, dass wir in der Planung und Umsetzung etwas zaghafter waren als sonst. Aber: Wir haben unser Vorhaben nicht aus den Augen verloren. Und mit Optimismus, Kreativität, einem starken Netzwerk und viel Flexibilität haben wir es geschafft, Räumlichkeiten zu finden, diese zu adaptieren und unser Büro umzusiedeln.

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Die matchBOX als Raum, in dem Neues entstehen und dieses Neue auch gestaltet werden kann. Ein Raum, in dem sich Reden und Tun die Hand geben. Ein Raum, der nur im Miteinander wachsen kann.

Nun, 1,5 Jahre später, in der gefühlt anderen Welt, konnten wir endlich das erste Kick-Off-Treffen für unsere matchBOX umsetzen. Der Plan war, dieselbe Runde wie im Dezember 2019 einzuladen. Es wurde dann doch eine andere. Aber es war die richtige! Menschen aus der Community, die wissen, wo die Probleme, Wünsche und Herausforderungen liegen.

Das herauszufinden und daraus neue Formate, Angebote und Projekte zu entwickeln ist unser Ziel. Der erste Schritt dafür sind unsere offenen Nachmittage. Jeden Dienstag von 14-17 Uhr sind alle, die Lust haben, in der openBOX willkommen.

(Vogelweiderstraße 8a, Eingang an der Straßenseite).

Zwischen den Stühlen

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„Glück ist eine Oase, die zu erreichen nur träumenden Kamelen gelingt“.

Das ist keine Binsenweisheit, sondern eine Beduinenweisheit, die Omar Khir Alanam mit leichter Hand aber alles andere als beiläufig in sein neues Buch streut. Wie so vieles ganz ohne Ausrufezeichen, aber mit der Empathie und Neugier dessen, der sich seine Heimat neu bauen muss, neu bauen darf, neu bauen will. Heimat – ein großes Wort, das sich im Kleinen versteckt. Sie zu suchen bedeutet die Welt, die vor einem liegt, neu entdecken. Egal, woher du kommst. Mit einem Blick, der zugleich nach vorne und zurück schaut.

Ich habe das Glück, Omar seit einigen Jahren zu kennen. Als wir uns das erste Mal trafen, ich weiß es noch ganz genau, es war vor dem Eingang der Academy Bar in Salzburg – wir veranstalteten einen Abend zum Thema „Heimat 2.0“, ich durfte den Abend moderieren und er war als Bühnengast und Autor eingeladen. Mit seinem druckfrischen Erstlingswerk „Danke! Wie Österreich meine Heimat wurde“ unterm Arm setzte er sich vor der Veranstaltung zu mir an den Tisch, der in meiner Erinnerung mitten am Gehsteig stand. Wir stellten uns vor und begannen zu reden. Und die Worte kamen auf uns zu. Ungezwungen. Leichtfüßig. Den ganzen Abend lang.

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Omar kam vor 6 Jahren nach Österreich. Über Umwege von Damaskus nach Graz. Sein Buch „Danke!“ ist so etwas wie eine Annäherung an seine neue Heimat in einzelnen Stationen. Mit viel Witz und Empathie nimmt er uns bei der Hand und bringt uns dorthin, wo wir unsere Welt aus seinem Blick erfahren. Und merken, wie sich dadurch auch neue Fenster in die arabische Welt öffnen. Mit Omar lernen wir, in zwei Richtungen gleichzeitig zu schauen. Und dieses Lernen passiert wie von selber. Nicht im Kopf, sondern dort, wo das Leben zwischen den Kulturen greifbar wird.

Es wäre längst an der Zeit, Danke zu sagen. Danke, dass er unser Land und unser Denken seit Jahren bereichert. Doch Omar ist schon wieder weiter gezogen. Hat Poetry Slams gerockt und Gedichte geschrieben – auf seiner Reise im Dazwischen. Wunderbare Gedichte, deren Zeilen mich nicht mehr loslassen:

„Die Verlierer

sind die, die am häufigsten über den Sieg sprechen.

Lernte ich in Syrien.

Die Sicheren

sind die, die am meisten Angst haben.

Lernte ich in Österreich.“

Jetzt hat er auch noch einen Bestseller draufgesetzt, mein Freund. „Sisi, Sex und Semmelknödel“ ist keine Annäherung mehr. Es ist eine literarische Reflexion aus der Mitte des Landes heraus, wenn zwei Kulturen aufeinanderprallen. Bei Omar ist dieses Zusammenstoßen niemals laut oder brutal. Auch nicht abstrakt oder ideologisch. Sondern immer konkret, mit einer Prise Humor und mitten aus dem Leben. Er lebt und denkt und fühlt und liebt in diesem Land. Ist meiner Grazerin zusammen und mittlerweile stolzer Vater eines kleinen Jungen mit österreichischem Pass.

In dem Drehbuch, das ich gerade schreibe, lasse ich Omar am Anfang aus dem Fenster eines Taxis blicken. Die Landschaft zieht draußen vorbei und seine Stimme sagt folgendes, ohne dass er den Mund bewegt: „Mein Name ist Omar Khir Alanam. Ich bin der, der immer noch seinen Reisepass versteckt. Ich bin Flüchtling. Und ich werde es immer sein. Ich bin der, den jeder Politiker kennt. Ich bin in seiner Rede die Einleitung, der Hauptteil und der Schluss. Ich bin ein Muslim, der 70 Frauen hat. So hat es mir mein Nachbar erzählt. Meine Frau ist eine Grazerin. Sie hat mir einen Sohn geschenkt. ‚Woher kommst du, kleiner Mann?‘, frage ich ihn. ‚Von einem anderen Stern?‘“

Ich bin sehr dankbar, diesen Film-Essay mit und über Omar machen zu dürfen. Er wird „Zwischen den Stühlen“ heißen und in Salzburg gedreht werden. Im Schloss Leopoldskron, in dem der große Max Reinhardt die Salzburger Festspiele erfand. Der Film erzählt die Geschichte einer unmöglichen Begegnung – über Orte und Zeiten hinweg – und das Umkreisen und Hinterfragen des eigenen Standpunkts – zwischen den Kulturen.

"Kultur ist etwas", schreibt er, "das fast überall drinsteckt. Oder sollte. Im Körper. Im Geist. Im Verhalten. In der Kreativität. Im Boden eines Ackers. Ganz egal. Kultur ist Kraft. Zwei verschiedene Kulturen sind zwei verschiedene Kräfte. Wir können sie verwenden, um einander damit zu beschimpfen. Auszugrenzen. Zu hassen. Zu beschießen. Und zu töten. Oder wir können sie zu einer gemeinsamen Kraft bündeln. Wie einen Lichtstrahl, der aus vielen dünnen zu einem dicken wird und auf einen kleinen Mann auf eine Bühne fällt, der seine Beine nicht spürt."

Ich kenne einen Seefahrer, der hat in seinem Hosensack immer eine Kastanie von zuhause eingesteckt. Manchmal, wenn er Heimweh hat, holt er sie heraus, und knetet sie in seiner Handfläche. Der Druck, den er damit erzeugt, lindert den Druck, der auf seinem Herzen lastet. „Wer niemals von zuhause weg war, weiß nicht, was Heimat ist“, meint er, „und braucht es auch nicht zu wissen.“

Das Glück ist eine Oase, die ich mit geschlossenen Augen am besten sehen kann.

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Die Bücher von Omar Khir Alanam:

  • Danke! Wie österreich meine Heimat wurde. edition a, 2018

  • Auf der Reise im Dazwischen. Edition Thanhäuser, 2019

  • Sisi, Sex und Semmelknödel. Ein Araber ergründet die österreichische Seele. edition a, 2020

PS: Wir sind noch mitten in der Finanzierung dieses filmischen Abenteuers. Der Film soll im Frühjahr 2021 im Rahmen von ‚100 Jahre Salzburger Festspiele‘ auf ORF III ausgestrahlt werden. Wer diese Filmdokumentation und damit auch das Tun von fairMATCHING unterstützen will, ist herzlich willkommen!

Unser neues Format: TREFFPUNKT

Trotz Corona, oder sollten wir sagen, wegen Corona, haben wir uns im  Frühsommer 2020 dazu entschlossen, unser oft schon andiskutiertes Format “TREFFPUNKT” in die Tat umzusetzen. Auch, weil uns die Gespräche mit unseren Bewerber*innen zeigten, wie wichtig gerade in Zeiten wie diesen der direkte (physische) Austausch ist.

Die Corona-Kollatoralschäden waren im Mai 2020 bereits unübersehbar. Der wochenlange Entzug von sozialen Kontakten in der Arbeit, über Kurse oder die gelebte Nachbarschaft hatte zur Konsequenz, dass das ohnehin schon kleine Angebot, um Deutsch zu üben, für unsere Bewerber*innen komplett weggebrochen ist. Die Menschen waren auf sich alleine gestellt und haben den sprachlichen Rückschritt selbst schnell bemerkt, was für beide Seiten frustrierend war.

Deshalb war uns nach dieser langen Durststrecke ohne persönliche Kontakte klar, dass wir unsere Präsenz wieder forcieren wollen und die Bewerber*nnen dort abholen, wo sie gerade stehen – natürlich mit allen Corona-bedingten Auflagen, die so ein Zusammenkommen sicher machen.

Der erste TREFFPUNKT am 30. Juli zum Thema „Deutsch sprechen üben“ zeigte uns, dass dieses Format genau richtig für diese Zeit ist und ein wesentliches Bedürfnis adressieren kann: Wenn Menschen zusammentreffen, um sich gegenseitig zu unterstützen und ihr in der Praxis erworbenes Know-how weiter zu bringen und jede/r gleichzeitig vertrauensvoll so sein kann, wie er/sie ist, ensteht eine Dynamik, die für unsere Arbeit immer schon zentral war.

Vielleicht war es auch die Tatsache, dass wir alle schon so hungrig nach sozialem Austausch waren. Oder auch das Thema, das für viele so wichtig und alltäglich ist – gepaart mit dem besonderen fairMATCHING-Spirit, der bei solchen Treffen wesentlich zum Erfolg beiträgt. Wahrscheinlich war es von allem ein bisschen, was uns diese Gänsehautmomente beschert hat, von denen wir nun zehren können.

Solche Gänsehautmomente schaffen genau jene Energie, die überspringt, wenn tolle Menschen zusammenkommen und ihre Erfahrungen teilen. Und sie sind wesentliche Momente für die Weiterentwicklung unseres matchBOX-Gedankens, der weit über die Arbeitsvermittlung hinausgeht und zum Ziel hat, dass die von uns betreuten Menschen, zu aktiven und gestaltenden Teilen unserer Gesellschaft werden.

Unser Dank gilt allen, die dabei waren! Für solche Momente leben wir.

Lasst uns gemeinsam diesen Raum gestalten. Einen Raum, in dem wir nicht nur miteinander reden, sondern auch miteinander tun.